Fallbeispiele – Anwendung von Lautgesten

Hinweis: Zur Wahrung der Schweigepflicht und des Datenschutzes, werden nachfolgend in den Fallbeispielen weder das Geschlecht, noch der Name des Kindes veröffentlicht.


Phonetisch-phonologische Störung
Das Kind wurde mit 4;1 Jahren in der Praxis vorgestellt. Es ersetzte die Laute k, g, ng, sch, ch2 und ch1, s, z konstant durch t oder d. Keiner der nicht entwickelten Laute konnte direkt nachgeahmt werden. Der Wortschatz, die Grammatik, die Motorik und der Körpertonus waren unauffällig; es lag ein Störungsbewusstsein mit hohem Eigenanspruch an sprachliche Leistungen und Abweichen in albernes Verhalten vor.

Therapieplanung nach dem Therapie-Konzept mit Lautgesten
- Wahrnehmung und Steuerung der Zungenbewegungen
- Lautanbahnung nach sprechmotorischen Möglichkeiten des Kindes
- Hördifferenzierungs- und Eigenwahrnehmungsübungen
- Silbentraining
- Erarbeitung der Lautbildung auf Wort-, Satz-, Textebene
   in Sprech- und Hördifferenzierungsspielen

zusätzlich:
therapiebegleitend Chirophonetik (A. Baur, rezeptive körperbezogene Sprachtherapie)



Therapiefrequenz: einmal wöchentlich und häusliche Wiederholungsübungen 
Therapiedurchführung: mit dem Material des "Lautgesten-Geheimverein" 



Zunächst wurden, vorbereitend für die Lautanbahnung, mundmotorische Übungen aus der „Bunten Lautgestenkiste“ durchgeführt. Parallel haben wir die Ersatzlaute d, t und die Grundvokale in Spielen aus dem „Memo, Lotto & Co.“ mit Lautgesten verknüpft. Die Einzellaute ch2, ch1, sch, ng und s, wurden gestützt durch Lautgesten und kleine, zusätzliche, taktile Hilfen angebahnt und dann in Spielen stabilisiert. 

Der Laut sch zeigte sich als derjenige, mit dem wir gut weiterarbeiten konnten. So folgten Hördiffe-renzierungsübungen sch vs. s, anfangs mit Lautgesten, dann ohne die visuelle Hilfe; diese Aufgabe war kein Problem für das Kind. Die Lautgestenkinder Schorschi und Svea waren die Marker und Merk- sowie Abrufhilfen für den Sprachlautklang und die Sprachlautbildung. Dann haben wir in verschiedenen, motivierenden Spielen aus dem „Lautgesten-Geheimverein“ Silben mit sch erarbeitet: als Laute in einer Reihe, z. B. sch-a und danach zur Silbe scha verbunden. Der Laut wurde weiterhin gefestigt in vielen Silbenspielen mit sch am Silbenanfang, in der Mitte und am Ende der Silben. 

Nach 10 Therapieeinheiten, die innerhalb von 3 Monaten stattfanden, waren wir auf der Wortebene angelangt und verwendeten die Bildkarten aus dem „Bildkartenset I“ und die Lautgestenkarte sch. Das Kind konnte die korrekte vs. inkorrekte Lautbildung im Fremdhören bei den relevanten Wörtern sicher erkennen. Die Eigenproduktion, sowie diese wahrzunehmen und gegebenenfalls zu korrigieren, war dem Kind leicht möglich. Aus fließender Sprache konnte es mit 4;6 Jahren die „Schorschi-Wörter“, wie es diese nannte, analysieren.


Die Korrektur von ch1 und ch2, dann mit etwas mehr Übungen auch die der Laute s und z, jeweils verbunden mit dem entsprechenden Lautgestenkind als Repräsentant von Laut und Lautgeste, war in wenigen Therapiestunden erledigt.

 

Parallel zur Stabilisierung der bisher erarbeiteten Laute auf Wort- und Satzebene, haben wir die Laute k und g in dem o.a. mundmotorischen Spiel und mit Chirophonetik vorbereitet. Die Lautanbahnung war jetzt mit geringer taktiler Unterstützung und markiert durch Kim und Gabi für die Ziellaute k und g bald geschafft. Hördifferenzierungsspiele aus dem „Lautgesten-Geheimverein“

mit den Ziel- und Ersatzlauten k-t und g-d machten dem Kind mit 4;9 Jahren keine Mühe. Es folgten viele verschiedene Silbenspiele mit den Lauten und auch Silbensequenzen im Kontrast t-k und k-g aus dem „Lautgesten-Arbeitsbuch“. Für Wörter, Sätze und Geschichten verwendeten wir Bildkarten aus dem „Bildkartenset I“ und dann für die Cluster auch „Bildkartenset II“.


Die Therapie konnte nach 30 Therapieeinheiten, das Kind war nun 4;11 Jahre, erfolgreich abgeschlossen werden. In der Therapie machte das Kind sehr interessiert und mit viel Spaß mit.

 


Late Talker mit Verdacht auf VED Verbale Entwicklungsdyspraxie
Aus der Anamnese ergaben sich Hinweise auf eine möglicherweise vorliegende VED.

Zeitweise war auch das Hörvermögen aufgrund von Paukenergüssen reduziert, der Mutter war eine Hörminderung nicht aufgefallen; das Sprachverständnis war altersentsprechend, Blickkontakt vorhanden, allerdings kurz; freundliches Kind, das gut mitmachte.

Das Kind wurde mit 2;8 Jahren in der Praxis vorgestellt; es sprach 8 Wörter (z.T. unvollständig, z.B. Mma = Oma), es ahmte die Laute  A, M, T, F, P nach und ansatzweise 5 Tierlaute; es lag eine fehlende Satzentwicklung vor und ein sehr kurzes Zungenbändchen (ärztlicherseits sollte hierbei abgewartet werden).

Therapieplanung nach dem Therapie-Konzept TOLGS-VED:
- Lautinventar füllen, dabei Laute und Lautgesten verknüpfen, zunächst die vom Kind
  nachahmbaren Laute (A, M, T, F, P) dann nach und nach Laute anbahnen (nach Möglichkeiten
  des Kindes, nicht unbedingt nach der physiologischen Sprachentwicklung);
- Silbenlexikon aufbauen
- Aufbau eines individuellen Kernvokabulars und Wörter, die alle Phoneme enthalten
- Satzaufbau
- therapiebegleitend Chirophonetik

Therapiefrequenz: Einmal wöchentlich und häusliche Wiederholungsübungen
Therapiedurchführung: mit dem Material des "Lautgesten-Geheimverein" , dessen Lernstufenaufbau und dem Lernstufenaufbau nach TOLGS-VED

Lernstufe 1 - Lautanbahnung  und parallel Wortaufbau sobald wie möglich

(Lautgesten/-karten wurden zusätzlich in Rollenspiele integriert)
Zunächst wurden die nachahmbaren Laute A, M, T, F, P mit Lautgesten verknüpft und als Lernhelfer für den späteren Wortaufbau stabilisiert. Nach 4 Wochen waren zusätzlich die Laute 
I, Ei, H, B, P und ansatzweise O möglich; nach 9 Wochen Au, U, D, G.

Nach 10 Wochen begann der Wortaufbau: Papier /pa-pia/, Auto /au-to/, Pippi /pi-pi/, Ei, Baby  /be-bi/ (es wurde als /bi-bi/ realisiert) heia (es wurde als /eia/ realisiert); mit Lautgesten konnten die Wörter korrekt gesprochen werden.

Nach 3 Monaten kamen die Laute: N, O, E hinzu und  die Wörter: Tüte, Uhr, Bär, Anna, Tor.

Nach 4 Monaten bestand der Wortschatz aus ca. 25 Wörtern in KV-Strukturen und  Zwei-Wort-Kombination begannen: „Mama Auto“, „Baby heia“.

Lernstufe 2 - als rhythmisch-melodisches Silbenlernen und parallel weiter Lautanbahnung

Zum Aufbau des Silbenlexikons wurden stimulierenderweise Silbenlieder (in Anlehnung an Kinderliedmelodien) gesungen, bevor das Sprechen der Silben geübt wurde, denn die Synthese von Einzellauten zu Silben war mühselig. Weiterhin wurden Fantasienamen von Tierfamilienmitgliedern in der KV-KV-Struktur im trochäischen Betonungsmuster stimuliert.

Die Tendenz der Rückverlagerung T zu K wurde auch mit den Silbenliedern aufgefangen.

Lernstufe 3 - Silbentraining

Weitere Silben mit den stabilisierten Einzellauten (Konsonant/en und Vokale) wurden in Lautgestenspielen erarbeitet. Zunächst als Laute in einer Reihe, danach mit der willentlich gesteuerte Synthese zur Silbe.

 

Lernstufe 4 -  Wortaufbau und Satzaufbau

Für den Aufbau des sprechmotorischen Bewegungsplans von Wörtern wurden die stabilisierten Grundbausteine Laute und Silben benutzt. Nach 5 Monaten hatte sich der Wortschatz auf 52 Wörter erweitert; Wörter in der KVK-Struktur wurden aufgebaut, z.B. Baum zunächst als /bau-m/ Silbe und abgesetzt der Konsonant, dann die Synthese zu /baum/. Nach ca. 6 Monaten setzte der Wortschatzspurt ein; alle Sprachlaute waren entwickelt außer R, ch2, Sch, L (wegen zu kurzem Zungenbändchen nicht möglich); S wurde mit inkonstanten Distorsionen gesprochen.

Nach 7 Monaten begannen Zwei-, und Drei-Wort-Kombinationen.

 

Den  Satzaufbau starteten wir mit SP-Sätzen, dann Sätze mit Adjektiven und SPO-Sätze; spontane Sätze zeigten sich mit Wortauslassungen und -umstellungen, also mit Syntaxfehlern.

Nach 11 Monaten waren R und ch2 entwickelt.

Nach 1 ½ Jahren, 70 Therapieeinheiten,  konnten alle Laute, auch Sch als Einzellaut und L mit minimalst geöffnetem Kiefer korrekt gesprochen werden. Der Wortschatz war umfangreich erweitert und die Sätze wurden spontan variationsreich formuliert und mit korrekter Wortstellung gesprochen, nur mit kleinen morphologischen Fehlern.

Zu korrigieren waren noch die Konsonantencluster Kr, Gr, weiterhin mussten die Laute Sch und L auf Wort- und Satzebene erarbeitet werden, sowie in Clustern und schließlich die Distorsionen der S-Laute korrigiert werden.